"Nein, meine Suppe ess' ich nicht!"

von GBG-Online Redaktion

„Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess' ich nicht!“ bekannte Zeilen vom Suppen-Kaspar aus dem Struwwelpeter-Buch. Das Gedicht berichtet in wenigen Versen von einem Jungen, der sich weigert, seine Suppe zu essen und daher innerhalb weniger Tage verhungert. Der Mediziner Hoffmann greift in seinen Versen Hunger und Hungersnöte in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf. Die Verweigerung der Nahrungsaufnahme konnte in diesem Umfeld vielleicht eine absurde Idee sein, niemals jedoch eine reale psychische Verirrung.

Es gilt heute als wahrscheinlich, dass die Geschichte vom Suppen-Kaspar auch einen realen Hintergrund besitzt und auf einen im Jahre 1834 verstorbenen neunjährigen Jungen aus Leoben zurückgreift, bei dem als Todesursache in den Kirchenbüchern der Eintrag: „Verweigert Nahrungsaufnahme“ verzeichnet und auf dem Grab ein Kreuz mit der Inschrift Suppen-Kaspar aufgestellt wurde.

Hoffmanns Gedichtinhalt ist heutzutage aktueller denn je. Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating sind aktuelle Themen, die gerade in der Schule diskutiert und deren Auswirkungen Schülerinnen und Schülern bewusstgemacht werden müssen.

Die Sozialpädagoginnen des GBG haben dem Rechnung getragen und einen Workshop für die Jgst. 9 organisiert. Die Referentin Susanne Hasenbach grenzte zunächst die Begrifflichkeiten gegeneinander ab und stellte unterschiedliche Essstörungen in fünf gespielten Szenen vor. Dabei nutze sie für jede Geschichte eine andere T-Shirt-Farbe, so dass die Schülerinnen und Schüler in der späteren Diskussion die jeweilige Szene über die Farbe ansprechen konnten.

In der ersten Szene griff sie auf die Verse vom Suppen-Kaspar zurück und unterstrich die Szene durch ein cooles, Kaugummi kauendes Auftreten. In der 2. Geschichte stellte sie ein Mädchen dar, dass gerade genüsslich gegessene Schokolade wieder ausspuckte und sich mit einem Taschentuch anschließend sogar den Mundraum säuberte. Sie war der Meinung, dass Essen unattraktiv macht, Leute einen nur beachten, wenn man schlank ist, „Ich will Beachtung, ich bin dünn, mache Sport, genau das will ich.“ Aber es kamen auch Gedanken auf wie: „In Wirklichkeit aber bin ich zwar dünn, aber unglücklich, kann nicht mehr das machen, was ich vorher gemacht habe. Essen bestimmt meinen Tagesablauf, meine Freizeit, meine Gedanken. Ich habe einen NC von 1,0 und studiere Medizin. Ich will das alles nicht, eher vielleicht Schneiderin, Schauspielerin werden und meine Eltern und Freunde nicht einfach glücklich machen. Aber ich habe nicht gemerkt, wie aus meinem Verhalten eine verdammt miese Krankheit wurde.“

In der nächsten Szene erbricht sie sich. „Ich finde es zum Kotzen, musste mich einfach mal auskotzen. Warum ich das mache? Wenn ich es wüsste, würde ich es einfach nicht tun. Säure schädigt meine Zähne. Ich weiß das alles, lebe täglich mit der Angst und mit diesem scheiß Schamgefühl. Am Anfang ging es mit einem Finger ganz einfach, jetzt sind schon zwei Finger notwendig, Meine Zähne schädigen die Haut meiner Hände, weil sie immer wieder an die gleiche Stelle stoßen. Ich kotze, bis ich die Magensäure schmecke und kotze immer noch weiter. Ich träume davon, dass ich das alles wegwünschen kann. Aber es klappt nicht. Ich versuche Hilfeschreie, aber keiner hört sie, es geht nicht. - es ist einfach zum Kotzen.“

In der vierten Geschichte erzählt sie von ihren Mahlzeiten – Frühstück mit Knäcke, in Gedanken packt sie nur tolle Sachen drauf, schlägt sich dann aber zur Bestrafung ins Gesicht und macht es dann doch nicht. Mittags gab es Tofu, zum Abendbrot ein Riesenschnitzel, Spiegelei, Erdnussbutter und dann – ging doch alles in die Toilette. „Und wenn ich alles esse und dann sterbe, habe ich meine letzte Nacht wenigstens toll verbracht.“

Im letzten Stück wurde Germany Next Topmodel persifliert. „Warum sehe ich mir an, wie sich die Models blamieren.“ Und mit hoher Stimme: „Ich habe heute leider kein Foto für dich.“ „Ich kann mich darüber lustig machen, aber meine Gedanken stehen nicht still, so schlank, mit Illusionen leben. Models haben alles, was ich mir auch wünsche – vor allem auch Anerkennung. Wer gut aussieht, der hat alles. Wer schön sein will, der muss leiden. Eine Welt, die nur aus Taille besteht. Ich habe keine Lösung, aber ab heute scheiß ich auf Heidi Klum, ab heute tue ich, was meinem Körper guttut, nicht nur das Äußerliche ist wichtig. Ich achte darauf, dass ich glücklich bin. So sollten alle denken – ob weiß, ob schwarz. Wenn jeder mal anfangen würde, an das zu denken, was wirklich wichtig ist.“

Nach einem 5-minütigem Gedankenaustausch unter den Schülern begann die Besprechung der fünf Szenen. Der größte Teil der Schülerinnen und Schüler hatten in der ersten Geschichte den Suppen-Kaspar nicht erkannt, das Struwwelpeter Buch war ihnen nicht bekannt. Die Eltern vom Suppen-Kaspar sagen:“ Iss, iss, iss.“ Der Kaspar hatte Magersucht. Die Magersuchtstimme sprach aus ihm heraus.

In der Schokoladenszene war auch Magersucht deutlich erkennbar. Erst kauend, dann spuckend zeigte sich das Mädchen, den Geschmack voll auskostend. Die Erklärung: sie will wegen Kalorien nicht schlucken, obwohl man auch über die Mundschleimhaut Kalorien aufnimmt. Ihr Verhalten kam daher, da sie immer machen wollte, was die Eltern wollten. Magersucht ist eine Gefahr bei Perfektionisten, die nur ihrer Umwelt gefallen wollen. Zugehörigkeit und Anerkennung wollen sie haben. Magersüchtige haben unheimliche Angstzustände, wenn sie zunehmen. Sie stehen vor dem Spiegel, sind dünn, aber sehen sich selber nur dick. In einer Therapie geht man deshalb oft den Weg, dass solche Personen erst ihren Bauchumfang mit einem Papierband abschätzen und ihn dann nachmessen müssen. Sie stellen dann überrascht fest, dass sie dünner sind als sie selber vorab geschätzt haben. Magersucht hat unter allen Essstörungen die höchste Sterblichkeitsrate.

Was macht der Körper? Er hält lange durch. Erste Anzeichen: man ist extrem früh wach durch Hormonumstellung, man fühlt sich schwächer, der Kreislauf bricht häufig zusammen. Die Haare werden dünn, fallen extrem aus, die Nägel brechen. Es entsteht ein Flaum am Rücken, da der Körper einen Energieverbrauchschutz einrichtet (Wärme speichern wegen frieren). Die Menstruation bleibt aus. In solchen Momenten wird man aufmerksam.

In einer anderen Spielszene ging es um Bulimie. Das Mädchen hat sich übergeben. Es hatte viele Probleme, viel Druck, weiß nicht damit umzugehen. Sie will ihre Probleme wegessen, dann übergibt sie sich, um Druck wegzubekommen. Bulimie-Personen sind unheimlich engagiert, vergessen sich aber selbst völlig, können mit ihrem Gefühlschaos nicht umgehen. Sie haben unheimlich mit ihrer Scham zu kämpfen. Sie haben oft jahrelang schon Bulimie, ohne dass es jemand bemerkt hat. Die Folgen sind; von Magensäure angegriffene Zähne und Speiseröhre. Das ständige Übergeben bringt den Mineralhaushalt und die Verdauung durcheinander.

Nach der allgemeinen Besprechung der Spielszenen konnten die Schülerinnen und Schüler eigene Fragen stellen.

Wie hat Essstörung bei der Referentin selbst angefangen?

Es fing in der Pubertät an. Warum? Unzufriedenheit, Meinung anderer und Bestätigung von außen war sehr wichtig, Auch die Figur kam ins Spiel. Körperlich verändert sich viel. Man fühlt sich im neuen Körper nicht wohl. Dazu kommt Unzufriedenheit. Man überlegt, wie geht es nach der Schule weiter, hat mehr Kontakt mit Freunden als mit Eltern.

Mit 15 hat die Freundin damit angefangen und Referentin hat überlegt, was ist Essstörung überhaupt. Mit 19/20 ist sie selber reingerutscht, ging ins Ausland, war allein, keinen Anschluss gefunden, Eltern in Scheidung, hat sich unwohl gefühlt. Dann ging sie nach München. Dort hat sie sich aber dick gefühlt. Erst nur Gemüse gegessen, dann Mahlzeiten ausgelassen, nach einem halben Jahr wurde es ein Problem. Der Prozess geht schleichend, fehlende Glücksgefühle reißen einen tiefer rein.

Welches Gewicht hatte die Referentin während ihrer Erkrankung?

Ihr Gewicht nennt sie bewusst nicht. Das ist nur eine Zahl und sie hat die Sorge, dass sich sonst Schülerinnen daranhalten. Sie nennt nur ihren damaligen BMI (Gewicht und Größe in Relation): Sie hatte einen BMI unter 16, normal wäre einer ab 19 aufwärts.

Wie hat ihre Familie reagiert?

Sie hat natürlich mit Angst und Schock reagiert. Beim Essen hat Referentin nur einzelne Dinge rausgepickt. Sie wollte mehr essen, aber es ging nicht mehr. Sie ist zu Freunden und Eltern gegangen, um Rat zu holen. „Ach lass uns zusammen was kochen“ – hilft wenig. Erst professionelle Unterstützung hat geholfen (Beratungsstelle in München). Dann hat sie ambulant bei einer Therapeutin angefangen, um erstes Gewicht zunehmen. Es war aber recht schwierig. Ging es ihr besser, war die Essstörung auch im Hintergrund. Bei Stress und Unsicherheit war Magersucht aber wieder der Anker, die Freundin, an der sie festhalten konnte.

Kommt irgendwann „das Einsehen“?

Manchmal geht es schnell abwärts. Man nimmt nichts mehr war, gedanklich läuft gar nichts mehr. Deshalb ist dann meistens auch eine Zwangseinweisung in eine Klinik nötig, um erst einmal Gewicht zuzulegen. Dann kann der Körper die Krankheit erst aufarbeiten. Dafür muss man aber selber die Entscheidung treffen. Als es mit erneuter Essstörung noch tiefer ging, wurde ihr bewusst: noch weiter und es ist zu Ende - oder du versuchst jetzt daraus zu kommen. Dadurch kam Wut in ihr auf, dann kam es zur eigenen Entscheidung. Aber selbst in der Klinik kommt man an eigene Grenzen.

Gab es einen Rückfall bis jetzt?

Nein, sie kann essen was sie will, hat normales Hunger- und Sättigungsgefühl. Aber sie ist sich bewusst, Essen bleibt immer eine Schwachstelle. Aber sie weiß auch sicher, dass sie sich dann wieder selbst helfen kann.

Sind nur Frauen betroffen?

Es kommt ein Junge auf 10 Mädchen. Jungen rennen im Moment extrem ins Fitnessstudio, um „Körper“ zu bekommen. Viele Eiweißshakes, etc. Auch das ist kein positiver Trend.

Bekannter eines Schülers macht es auch à Liegt hier auch Essstörung vor?

Kann man pauschal nicht sagen. Wenn jemand viel Sport nur aus Freude macht, auch sehr intensiv, dann ist es etwas Anderes.

Dann fragt Frau Hasenbach:

Was würdet ihr machen, wenn ihr in der eigenen Familie oder im Freundeskreis oder Arbeitsleben oder an euch selbst Anzeichen von Essstörungen entdeckt?

Erst mal darüber reden, die Person nicht alleine lassen bzw. sich alleine fühlend lassen. Ansprechen, nicht wegschauen. Wie spricht man das Problem aber an und wo soll man Hilfe holen? Auf jeden Fall vorsichtig ansprechen. Die Begriffe Gewicht und Essen aus dem Spiel lassen, die betreffende Person auch nicht zum Essen einladen.

Nicht sagen, du bist aber dünn geworden. Die Gedanken der betreffenden Person gehen dann in die Richtung: Ah, ich bin dünn geworden, es hat gewirkt. Lieber bewusstmachen, dass die betroffene Person jederzeit zu einem kommen kann. Ein Tipp für Eltern und Betroffene: sich auch an Lehrer oder andere Vertrauenspersonen wenden. Es gibt zudem viele Beratungsstellen. Eine Anlaufstelle ist auch die Website: www.anad.de.

Dieser Workshop hat gezeigt wie wichtig es ist, das Thema Essstörungen schon Jugendlichen bewusst zu machen. Der grundlegende Erfolg der Veranstaltung lag sicherlich in der Professionalität der Referentin, die zudem die Schülerinnen und Schüler begeistern und zu zahlreichen Diskussionsbeiträgen motivieren konnte.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Struwwelpeter
http://www.poetenweb.de/geschichten/struwwelpeter/suppenkasper.htm
http://www.anad.de
https://pixabay.com/de

Text/Fotos: Hajo Wagner

Feedback der Schülerinnen und Schüler über eine Fragebogenauswertung

Im Anschluss an das Präventionsprojekt hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, mithilfe eines Fragebogens Ihre Einschätzungen zum Theaterstück und dem dabei erworbenen Wissen abzugeben.

Sowohl Jungen als auch Mädchen finden es wichtig über das Thema Essstörungen informiert zu sein und die meisten gaben an, ihr Wissen durch die Veranstaltung vertieft zu haben. Viele nutzten rege die Möglichkeit im Anschluss eigene Fragen zustellen und vermerkten positiv die Offenheit der Schauspielerin und die Möglichkeit mit einer ehemals betroffenen zu sprechen.

Die Veranstaltung wurde von sehr vielen Schülern/ innen als informativ und sinnvoll eingeschätzt. Als Veränderungswunsch wurde deutlich, dass Sie gerne mehrere Darsteller auf der Bühne gesehen hätten. 

Auswertung: Svenja Feuster

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