Eine Brexit-reiche Woche

von GBG-Online Redaktion

Englandaustausch 2018/2019

Als sich am 19. März um halb neun morgens alle am Neusser Hautbahnhof versammelt hatten, war es, als wenn wir Mitschüler von Harry Potter wären, die zu ihrem ersten Schuljahr aufbrechen. Alle waren wegen der Aufregung und Neugier ein bisschen angespannt. Aber ruhig oder entspannt war es an diesem Tag nicht. Von Neuss über Köln, Brüssel und London kamen wir nach fast neun Stunden Reise in Clayesmore an.

Das Gebäude, vor dem wir ausstiegen, erinnerte an ein kleines „Hogwarts“- mit Türmchen, Erkern und seiner alten Fassade. Wir stiegen aus und schauten uns um, und, obwohl die meisten nach der langen Reise ein bisschen gebeutelt waren, wuchsen bei diesem Anblick alle Augen um ein Vielfaches. War dies eine Schule, nein oder doch? Das kann doch nicht sein. Wir wurden von unseren Austauschpartnern abgeholt und erstmal durch den prachtvollen Haupteingang in den ausgebauten Keller geführt, wo Aufenthaltsräume von einem der Schülerhäuser lagen. Dort konnten wir unsere Sachen ablegen und einen ersten Eindruck von den gemütlich eingerichteten Räumen bekommen.

Dann durften wir zum Abendessen. Wenn es nur auch bei uns so wäre, dann könnte sich niemand mehr über die Cafeteria beschweren. Es gab drei warme Gerichte, mehrere Beilagen und, nicht zu vergessen, einen Nachtisch. Jetzt wurden die Schüler, die bei ihren Austauschpartnern zu Hause wohnten, von den Gasteltern auf dem Parkplatz abgeholt, die anderen gingen in die vorbereiteten Schlafräume.

Am nächsten Morgen trudelten die Schüler mit ihren Partnern ab viertel nach acht in den Räumen der Häuser ein, wo man Hausgaben machte, Fernsehen guckte, einen Tee trank oder sich einfach ein bisschen ausruhte, bis man um halb neun zu seinem Klassenlehrer ging. Dort wurde besprochen, ob ein Turnier oder irgendetwas anderes anstand, wann es Mittagessen gibt usw. Zur Not gab es immer noch Youtube, damit sich niemand langweilte.

Dann trennten wir uns von unseren Partnern, denn diesen Tag würden wir ohne sie verbringen. Wir fuhren mit Herrn Oberländer und Frau Pietsch in den schuleigenen Bussen in das nicht so weit entfernte Küstenstädtchen Poole. Dort angekommen stiegen wir sozusagen direkt an der Kaimauer aus und konnten den morgendlich, noch etwas gemütlich aussehenden Betrieb am Hafen beobachten, wo unter anderem eine der weltbekanntesten Yacht-Bauer zu Hause ist. Dann gingen wir in die Altstadt, mit kleinen alten Bootshäusern und Stadthäusern aus dem 19. Jahrhundert. Am Eingang so eines Hauses wurden wir von einer Frau, die passend zur Epoche des Hauses gekleidet war, empfangen. Sie schrie uns erst mal an, was wir denn hier zu suchen hätten, um danach mit uns eine Zeitreise zu starten. Den meisten war ab diesem Moment klar, dass dieser Tag vielleicht doch spannender werden sollte, als es auf unserem Information-Schreiben mit dem Programmpunkt „Museum“ den Anschein gemacht hatte.

Zunächst sollten wir, wie zur viktorianischen Zeit, in einem Arbeitshaus als arme Leute vor den Reichen, in diesem Fall unsere Lehrer, vorkochen, damit diese sich die neuen Diener aussuchen konnten. Nachdem wir zwei Stunden angebrüllt wurden, versucht haben, uns nicht in die Finger zu schneiden und uns an das Rezept zu erinnern, standen die Gerichte auf dem Tisch. Wir würden dafür zwar keinen Stern bekommen, aber für die Zeit und unsere Kocherfahrungen war das Essen sehr respektabel.

Am Donnerstag ging es für uns endlich mit in den Unterricht. Da die Austauschpartner in unterschiedlichen Klassen waren, gingen auch wir deutschen Schüler in verschiedene Unterrichtsstunden. Von Theater und Kunst bis hin zu Naturwissenschaften und Sprachen war alles dabei.

So gab es immer, wenn man andere traf, ein kurzes Gespräch darüber, was man gerade erlebt hatte. Zum Mittagessen traf man sich dann in der Cafeteria und bestaunte das reichhaltige Angebot an Speisen aus der ganzen Welt, immer etwas Anderes, es schmeckte sehr gut.

Gut gefüllt ging es danach nicht in den Nachmittagsunterricht, sondern zur „United Nation“- einem Projekt, bei dem die Schüler zu einem vorgegebenen Thema in unserem Fall Waffengesetze) diskutieren und debattieren sollen. Obwohl wir uns sehr genau darauf vorbereitet hatten, war es nicht unbedingt leicht, für uns Deutsche, dem schnellen Debattieren der Engländer zu folgen und mitzumachen. Am Ende allerdings waren alle positiv überrascht und möchten dies auch an unserer Schule einmal durchführen.

Am Freitag hatten wir unseren gemeinsamen Ausflug mit den Engländern, und zwar in die nächst- größere Stadt Bath, die allerdings auch eine gute Stunde entfernt war. Dies war für uns Deutsche genau der richtige Augenblick, den Busfahrern auch ein bisschen deutsche Kultur beizubringen, also Schlagergesänge! Auch wenn die Gesichter der Fahrer nicht immer so glücklich aussahen, hatte man doch am Ende der Woche das Gefühl, dass der ein oder andere Busfahrer leise „Herzbeben“ oder anderes vor sich hin summte, wenn er wieder einmal die müden Schüler hin und her fuhr. In Bath angekommen besuchten wir in zwei Gruppen erst mal ein kleines Museum, welches im Stil der gregorianischen Zeit eingerichtet war. Um nicht einem Kulturschock zu unterliegen, wurde dann erstmal ausgelassen geshoppt. Dabei lernten wir auch den ein oder anderen Laden kennen, den es in Deutschland nicht gibt oder in die man als deutscher Tourist auch nicht gehen würde.

Nachdem wir um halb vier wieder in der Schule angekommen waren, gab es noch Tee und dann sind alle männlichen Austauschschüler, die weiblichen wären in der anderen Woche dran gewesen, mit ihren Partnern in den, für alle von uns ersten englischen Gottesdienst gegangen. Obwohl keiner von uns die anglikanische Kirche kennt, war es mit dem Gottesdienstzettel, den jeder bekommt, nicht schwer, sich zurechtzufinden und bei den Liedern hat sowieso jeder laut mitgesungen - die englischen Schüler sind genauso Gesangstalente wie wir.

Ganz ungewöhnlich war es für die meisten von uns am nächsten Morgen, so früh für die Schule aufzustehen, denn die Engländer haben auch samstags Schule (dafür aber sehr viel länger Ferien!) Auch wir Deutschen waren vormittags wieder im Unterricht. So wurde ein eher unmusikalischer Simon doch noch zum Arrangeur, der ein hervorragendes Gehör besitzt und wir alle mussten uns als Deutschlehrer behaupten. Besonders schwierig, wenn man den Partner nach 60 Minuten Aus- Sprache-Training so gequält hat, dass er es mit einem Todesblick erwidert, wenn man zum dritten Mal die Aussprache von „Unterricht“ korrigiert.

Nach dem Mittagessen ging es für uns Deutsche dann noch mal zu einem kleinen Ausflug zu einem der bekanntesten Fotomotive Englands „Gold Hill“ in Shaftesbury. Dann kam für die meisten von uns der große Abend! Denn nach dem Ausflug wünschten wir uns nicht ein schönes Wochenende, da wir uns um halb acht in der Cafeteria schon wieder trafen – zum Year 11 Ball. Ich glaube, ich habe meine Mitschüler (und auch Lehrer: wo hatte Herr Oberländer plötzlich seinen PopUp-Anzug her?) noch nie so fein gesehen. Weißes Hemd, hellgraues Kleid, schwarze Lederschuhe, Sakko oder Blazer, und eine Fliege durfte natürlich auch nicht fehlen. So verbrachten wir die nächsten Stunden in einer ausgelassenen Stimmung. Ein bisschen Essen, serviert von den Lehrern, und danach Disco. Man hatte vielleicht mit „normalem“ Tanzen gerechnet, aber eine so ausgeflippte Stimmung, war keinem in den Sinn gekommen. Die Engländer tanzten so wild, dass bei dem einen oder anderen am Ende die Schuhsohle vom Oberleder abging. Der Boden in dem alten Gemäuer schwang auch bedrohlich mit. Ein tolles Erlebnis, bei dem am Ende auch alle Deutschen mittanzten - außer denen, die zu viel Zeit am Schokobrunnen verbracht hatten.

Den Sonntag verbrachten wir dann in den Gastfamilien. So lernte man die kulinarischen Seiten von England noch besser kennen, unterstützte den Austauschpartner bei einem Rugbyspiel oder besuchte einen englischen Freizeitpark.

Am letzten Tag hatten wir noch mal etwas ganz „Natürliches“ vor. Bei bestem Wetter fuhren wir morgens in einen kleinen Ort an der Südküste von England. Bei 20 Grad plus kamen so manche von uns bei der Wanderung zur Durdle Door ins Schwitzen. Dort konnten wir uns im Schatten dieses riesigen Steinbogens erholen und die Landschaft genießen, bevor es an der Steilküste zurückging.  Dann kam das Traditionelle. Einmal „Cream Tea“ für jeden. Und auch bei uns kam die Diskussion auf, ob zuerst die Marmelade und dann Clotted Cream auf die Scones kommt oder anders herum. In der anschließenden Freizeit konnte man den noch nicht ganz vollen Bauch mit ein paar Kugeln Eis auffüllen, oder man traute sich, wenigstens mit den Füßen, ins Wasser. Es war fast schon wie am Mittelmeer, nur die alle paar Minuten schießenden Panzer eines nah gelegenen Übungsgebietes störten die Idylle.

Und dann kam der Abschied: Am Dienstag versammelten sich alle vor dem Eingang des Haupthauses und posierten für ein Foto. Dann sagte man sich Tschüss oder verabredete sich für die Sommerferien und stieg in den Bus. Den ganzen Weg zurück redeten wir von den schönen, kuriosen oder einfach typisch britischen Momenten unseres Besuchs und ich glaube, dass jeder diesen Austausch ein Leben lang in Erinnerung behält.

Text: Tristan Merg, Fotos: Tristan Merg, Thomas Oberländer

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